Claudias Koordinatensystem
Aufmacherbild: Mosaik des Asteroiden (4) Vesta, zusammengestellt aus Einzelaufnahmen der Raumsonde Dawn. (Credit: NASA/JPL-Caltech/UCLA/MPS/DLR/IDA.)
Bild vergrößernÜber Koordinatensysteme zu reden ist langweilig und öde? Möglicherweise – sie können aber auch ein Zankapfel sein: Um Claudias Koordinatensystem entwickelte sich gegen 2012 ein kleinerer wissenschaftlicher Streit. Wie so oft ging es um eine Definitionsfrage …
Möchte man ganz genau angeben, wo sich ein konkreter Punkt auf der Erdoberfläche befindet, so kommt man um ein Koordinatensystem nicht herum: Durch Länge und Breite lässt sich eine Position exakt verorten. Das gilt nicht nur für die Erde: Auch auf anderen Objekten des Sonnensystems hat man solche Gradnetze definiert, um das Gelände dort besser erforschen zu können. Aus diesem Grund wurde auch für den Kleinplaneten Vesta ein Koordinatensystem entwickelt – und es wurde nach Claudia benannt.
2007 brach die NASA-Raumsonde Dawn auf, um sich zwei Kleinplaneten aus der Nähe anzusehen: Bevor sie ab 2015 die Königin des Asteroidengürtels – Ceres – mit ihren Instrumenten untersuchte, begleitete sie von Juli 2011 bis September 2012 zunächst den zweitgrößten Gesteinskörper zwischen Mars und Jupiter auf seiner Bahn: Vesta ist kartoffelförmig und würde mit einem mittleren Durchmesser von etwa 525 Kilometern ungefähr 280-mal in den Erdmond hineinpassen. Auch für diesen Asteroiden war nun ein Koordinatensystem nötig. Doch wie definiert man das für eine Kartoffel?
Die Breitengrade eines Himmelskörpers ergeben sich automatisch aus seiner Rotation: Die Rotationsachse bestimmt die beiden Pole, der Äquator steht immer senkrecht dazu. Aus den Winkelabständen zum Äquator kann man dann leicht die Breitengrade ablesen. Anders ist das mit den Längengraden: Aus physikalischer Sicht ist es vollkommen willkürlich, wo der sogenannte Bezugsmeridian (auch Nullmeridian) gesetzt wird, und eine reine Definitionsfrage. (So war es übrigens auf der Erde auch lange Zeit nicht global einheitlich geregelt, wo sich der 0. Längengrad befinden sollte. In Europa waren etwa der Pariser Meridian oder der Ferro-Median, benannt nach der westlichsten der Kanarischen Inseln, gebräuchlich. Erst 1884 einigte man sich darauf, dass der Nullmeridian durch die Londoner Greenwich-Sternwarte verlaufen sollte.)
Wie löst man das Problem nun auf einem größeren Asteroiden? Das Dawn-Team entschied sich für einen winzigen, aber markanten Krater in Äquatornähe mit einem Durchmesser von gut einem halben Kilometer. Namen für Vestakrater sind laut der offiziellen Regelung berühmten römischen Frauen und anderen Personen vorbehalten, die historisch in einem Zusammenhang mit der Feuergöttin Vesta stehen. Man entschied sich für den Namen Claudia, der an eine Vestalin aus dem 2. Jahrhundert vor Christus erinnert. Vestalinnen sollten im alten Rom als Priesterinnen das ewige Herdfeuer im Vestatempel hüten.
Der Krater Claudia
Man muss schon genau hinschauen oder das Bild vergrößern, um den winzigen Krater Claudia auf dieser Aufnahme auszumachen. Der Durchmesser beträgt etwa 570 Meter, die Auflösung dieses Bildes beträgt etwa 260 Meter pro Pixel.
(Credit: NASA/JPL-Caltech/UCLA/MPS/DLR/IDA.)
Das von der NASA vorgeschlagene Koordinatensystem ist nun so angelegt, dass der 4. westliche Längengrad exakt durch Claudias Zentrum verläuft. Für die Internationale Astronomische Union (IAU) war das nicht akzeptabel: Bereits 1997 hatte sie ein Koordinatensystem für Vesta eingeführt, das auf Hubble-Aufnahmen basierte. Dort verläuft der Bezugsmeridian durch die Mitte einer 200 Kilometer großen, dunklen Fläche namens Olbers Regio. Das Dawn-Team empfand dies als zu vage, außerdem würde ihr neues Claudia-Koordinatensystem eine wesentlich logischere Kartenaufteilung liefern. Überdies stellten die Forschenden fest, dass die Pole im alten Koordinatensystem um einige Grad daneben lagen. Nach den IAU-Regularien sollten einmal etablierte Koordinatensysteme aber möglichst nicht geändert werden. Was tun?
Im November 2013 konnte man sich auf einen Kompromiss einigen: Die IAU übernahm die Korrekturen hinsichtlich Vestas Rotationseigenschaften, vermied aber allzu große Änderungen bei den Längengraden. Wiederum dient Claudia als Bezugskrater, allerdings definiert er nun den Längengrad 146 Grad östlicher Länge. Somit ist das neue, aktuelle Claudia-Double-Prime-System um 150 Grad gegenüber dem ursprünglichen Dawn-Vorschlag verschoben. Auf diese Weise konnte ein kleinerer astronomischer Disput beigelegt werden.
Eine Vestakarte
Ein bisschen Vorsicht mit den Koordinatensystemen ist bei Vesta immer geboten: Diese NASA-Karte der Vesta wurde im September 2013 veröffentlicht und zeigt noch das ursprüngliche Claudia-Koordinatensystem, in dem der Krater Claudia bei 356° Ost (bzw. 4° West) liegt. Im offiziellen IAU-Koordinatensystem ist das Längengradnetz um 150 Grad verschoben. (Credit: NASA/JPL-Caltech/UCLA/MPS/DLR/IDA.)